End of Design.

End of Design.

Design war noch nie so wichtig wie heute. Dass gutes Design über wirtschaftlichen Erfolg entscheidet, ist mittlerweile ein Gemeinplatz bis hinauf in die Vorstandsetagen. In Zeiten technisch austauschbarer Produkte gelingt Differenzierung oft nur noch über Design.

Designer besetzen Schlüsselpositionen, leiten Unternehmen. Design Thinking ist in aller Munde und vielfach die Methode der Wahl, wenn Innovation gefragt ist. Die wertvollsten Unternehmen der Welt sind heute design-driven – Apple, Google, und ja, Microsoft!

Goldene Zeiten für Designer. Und dennoch legt ein unverstellter Blick auf aktuelle Entwicklungen eine völlig andere Interpretation nahe: It’s the end of design as we know it. Die Designer von heute werden morgen vielfach obsolet sein. Ein Umbruch kündigt sich an. In meiner täglichen Praxis als Human Interface Designer zeigt sich immer wieder, dass klassische Designer mit ihren traditionellen Methoden immer weniger zur Lösung der wirklich spannenden Probleme beitragen können. Design ist heute zunehmend:

Standardisiert

Egal ob im Web oder bei Mobile Apps – der klar erkennbare Trend zur Standardisierung wird von Designern häufig beklagt. Alles, so der Tenor, sieht immer gleicher aus, es gibt immer weniger Möglichkeiten zur so verzweifelt nachgefragten Differenzierung. Nun ist diese Entwicklung nicht notwendigerweise negativ, sondern vielmehr folgerichtig. Niemand wird sich darüber beklagen, dass beispielsweise die Anordnung von Pedalen im Auto mittlerweile standardisiert ist. Ebensowenig gibt es vernünftige Gründe, jedes Navigationsmenü individuell zu gestalten. Design wird dabei nicht weniger wichtig, es verlagert sich aber auf eine grundlegendere Ebene: Ein Gestaltungssystem wie Googles Material Design oder Microsofts Metro zu konzipieren, ist in höchstem Maß komplex und (er)fordert herausragende Designer. Aber eben weniger davon. Für die einzelne Anwendung braucht es dann im Idealfall gar keinen (visuellen) Designer mehr. Was Dieter Rams über Design sagte, gilt zukünftig wohl auch für Designer: Less, but better.

Dynamisch

Designer haben gelernt, eher statisch und starr zu denken: Gestaltungsraster, Proportionen, goldener Schnitt. Denken Sie an eine hoch dynamische Echtzeitvisualisierung, die ihr Aussehen je nach Dateninput völlig verändert. Was kann eine klassische Designerin mit ihren Werkzeugen und Fähigkeiten hier noch beitragen? Stellen Sie sich ein Service vor, das aus massiven Datenmengen das Verhalten seiner User analysiert und ihnen präzise bereitstellt, was sie als nächstes brauchen. Wie sieht ein Bot aus? Letztlich irrelevant. Die gestalterische Qualität entsteht auch hier auf einer ganz anderen Ebene, bereits beim Design der Algorithmen. Der Schwerpunkt verlagert sich also kontinuierlich, weg von der Hardware, hin zur Software, in Richtung Services und zugrundeliegende Systeme und Algorithmen. Einmal mehr: Design wird nicht weniger wichtig, eher im Gegenteil, erfordert aber zukünftig völlig andere Skills.

Generativ

Algorithmen nehmen Designern zunehmend Arbeit ab. Andererseits ermöglichen sie oft erst Gestaltung, die sonst unmöglich wäre. Beim Parametrischen oder Generativen Design werden Ziele definiert, beispielsweise soll ein Bauteil gestaltet werden, der bestimmte Anforderungen erfüllt. Der Algorithmus optimiert den Bauteil dann in zahllosen Schritten, und am Ende entsteht statt eines massiven Bauteils eine filigrane Struktur, die sich kein Industrial Designer je hätte ausdenken können und die nebenbei nur noch einen Bruchteil wiegt. Interessanterweise entstehen bei diesem „evolutionären“ Ansatz oft biomorphe Formen, wie sie auch in der Natur vorkommen. Design wird sich in Zukunft weniger damit befassen, Antworten zu finden, sondern versuchen, die richtigen Fragen zu stellen. Fragen wird zum schöpferischen Akt.

Evolutionär

Wo wir schon bei Evolution und Schöpfung sind: Um die Entstehung der Welt an sich zu erklären, brauchen wir ja bemerkenswerterweise den „Designer“ nicht mehr – hier ist Design bereits obsolet geworden. Zahllose Religionen und Schöpfungsmythen lehren uns seit Jahrtausenden, dass die Welt von einem intelligenten Designer erschaffen wurde. Heute liefert die Wissenschaft mit der Evolution schlicht die elegantere und plausiblere Erklärung. Auch wir Designer kokettieren gerne damit, dass wir im Idealfall eigentlich überflüssig wären. Einmal mehr bringt es Dieter Rams auf den Punkt: „Gutes Design ist so wenig Design wie möglich.“ Die gute Nachricht lautet: Für viele Designer könnte dieser Traum schon bald Wirklichkeit werden – sie werden in naher Zukunft vermutlich nicht mehr gebraucht. Höchste Zeit also, sich Sinnvollerem zuzuwenden.

Warum nimmt Design heute überhaupt einen derartigen Stellenwert ein? Wir leben ganz generell im Überfluss. Alles ist möglich, jederzeit. Wir haben uns die Erde untertan gemacht und überbordende Infrastrukturen geschaffen. Straßen. Einfamilienhäuser. Noch mehr Straßen. Kreisverkehre. Gleichzeitig erschaffen wir virtuelle Realitäten, prinzipiell dimensionslos, maßlos, unendlich. Zeit und Ressourcen bleiben dagegen bis auf Weiteres begrenzt. „Zu viel“ wird also in allen Bereichen zur Norm. Designer haben früher als andere gelernt, mit Überfluss umzugehen. Reduktion, Abstraktion, Minimalismus sind grundlegende Prinzipien unserer täglichen Arbeit. Designer sind heute vor allem Kuratoren des Überflusses, sie machen diesen überhaupt erst erträglich und vor allem konsumierbar. Software-Entwickler kennen das: Sie brauchen Designer, um aus 16,7 Millionen technisch möglicher Farben jene drei auszuwählen, die „gut aussehen“. Wir sollten uns gut überlegen, wofür wir diese Superpowers einsetzen. Um den Konsum von Überflüssigem möglichst erträglich zu gestalten? Noch schneller? Noch mehr? Die wirklich großen Themen unserer Zeit heißen anders: Weniger. Schrumpfen. Rückbau, und zwar sozial und ästhetisch akzeptabel: Un-Design statt Design. Denn wenn Design nichts mehr zur Lösung der grundlegenden Probleme beitragen kann, ist es am Ende.